Erinnerungen von Bernd Will
Die Festivals auf der Rhein-Wiese: 400 Fans und abends Regen wie in Wacken


„Die Leutesdorfer Rock-Festivals in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurden alle von jungen Leuten um die 20 organisiert. Keimzelle der Festival-Idee war ein Jugendzentrum namens Katholische Jugend Leutesdorf – kurz KaJuLe -, das sich in einem Kellerraum des Pfarrheims befand. Die KaJuLe war eine selbständige Gruppe, die keinen Sozialarbeiter vor der Nase hatte, ihren Vorstand und den Vorsitzenden selbst wählte und nur dem Pfarrer – damals Aloys Malkmus – verpflichtet war. Am Anfang war Bettina Leinz die Vorsitzende und dann wurde ich gewählt. Ich erinnere mich, dass Hans-Jürgen Hess und Klaus Riemenschnitter zum Vorstand gehörten. Willi Büschler und Werner Selt waren auch sehr aktiv und Hermann-Josef „Jö“ Selt, der leider schon tot ist, entwarf die Plakate.
Wir organisierten damals ungefähr einmal im Monat Partys, die gut ankamen und wir waren natürlich auch in der selbst organisierten Leutesdorfer Partykeller-Szene unterwegs. Ich persönlich vor allem bei ‚Pop-Fränz in der Kirchstraße, im Keller der Selt-Brüder in der Kleinen Pützgasse und in deren anderen Locations am Campingplatz und im legendären Gartenhaus am Rhein. Außerdem hatten wir als Betreuer von Kindern und Jugendlichen in der KaJuLe Erfahrungen mit Freizeitprogrammen und Ferienreisen. Bis nach Holland und nach Österreich sind wir gekommen. Und wir hatten sogar schon Rock-Partys auf dem Rhein organisiert: Touren mit dem Ausflugsschiff „Carmen Sylva“ unter dem Titel „Riverboat Shuffle“. Also, wir wussten schon, wie man erfolgreich was auf die Beine stellt. Der Erfolg motivierte! Und ich denke, wegen der gelungenen Kinderfreizeiten war auch unser Ruf im Dorf generell nicht so schlecht.
Damals gab es schon einige Rock-Festivals in der Region, zum Beispiel in Bad Breisig und in Bad Neuenahr. Die hatten wir natürlich auch besucht und das hatte uns fasziniert. So entstand in der KaJuLe allmählich die Idee, auch im kleinen Leutesdorf ein Festival zu organisieren. Pfarrer Malkmus, der allgemein als konservativ galt, war sehr dafür, uns zu unterstützen. Was Viele überraschte. So hatte er übrigens auch dafür gesorgt, dass ich Mitglied im Pfarrgemeinderat wurde. Und für das erste Festival hat er nach meiner Erinnerung ein kleines Budget zur Verfügung gestellt. Wir konnten auch noch auf etwas Geld aus Rücklagen durch den Getränkeverkauf bei den Partys zurückgreifen.
Sehr wichtig war für die Festivals, dass die Katholischen Jugendzentren im Kreis Neuwied miteinander vernetzt waren und Erfahrungen austauschen konnten. Dafür gab es eine sogenannte Katholische Jugend Zentrale in Neuwied, deren engagierter Leiter ein Sozialpädagoge mit dem Namen Raimund Krummeich war, der später Professor in Japan wurde. Bei der Elektrik und anderen praktischen Dingen unterstützten uns einige erwachsene Profis aus Leutesdorf. Auch der Lehrer Hess half. Die Männer müssen so um die 40, 45 Jahre alt gewesen sein müssen – für uns also alte Säcke! Es war eine gute Erfahrung, dass auch einige aus der Eltern Generation uns halfen.
Das erste Festival fand im Juni 1977 statt. Überwiegend Bands aus Leutesdorf und aus der näheren Umgebung traten auf. Headliner war eine Gruppe mit dem Namen Hill, Renn & Siebert, die unglaublich gut Jimi Hendrix Stücke coverte und später auch auf richtig großen Bühnen auftrat. Mehrere hundert Leute kamen und ausgerechnet beim Auftritt von Hill, Renn & Siebert goss es in Strömen. Schlechtes Wetter gab es übrigens auch bei den Festivals in den folgenden Jahren. Genug Leute kamen trotzdem jedes Mal. So wie der notorische Regen bei ‚Rock am Ring‘ und in Wacken ja letzten Endes auch keinen abhält.
Im zweiten Jahr – 1978 – trat unter anderem die Band „Octavian“ auf und ein Jahr später kamen sogar zwei renommierte ausländische Gruppen zu uns: die polnischen Jazz-Rocker „SBB“ und der New Yorker Blues-Rocker Bob Lenox mit seiner Band. Da war die Wiese Am Sejes dann schon richtig voll: 400 Fans zählte die Rhein-Zeitung. SBB und Bob Lenox hatten wir wie richtige Profis über eine Konzertagentur in Göttingen organisiert, zu der Willi Büschler und ich extra hingefahren waren. Ein paar Wochen vor dem Termin erschienen die Agenturleute dann zur Besichtigung der Location Am Sejes. Sie fanden das Gelände nicht schlecht, meinten aber, die große Kastanie müsste noch schnell gefällt werden, um die Zugangsmöglichkeiten zu verbessern. Das haben wir natürlich nicht zugelassen.
Das dritte Festival war auch das letzte. Das hatte mehrere Gründe: Einige der Organisatoren, auch ich, waren inzwischen 22, 23 Jahre alt und zogen fürs Studium in Großstädte wie Köln oder Berlin. Und die Wiese Am Sejes verlor allmählich ihre ‚Festival Tauglichkeit‘, weil die angrenzenden Kleingärten nun in ein Neubaugebiet umgewandelt wurden. Natürlich hatte es auch immer wieder Beschwerden wegen des Lärms gegeben, obwohl die Festival Wiese doch eher außerhalb des Orts lag.
Finanziell waren die Festivals übrigens immer eine Gratwanderung. Gewinn haben wir nie gemacht, einmal sogar ein wenig Verlust. Aber wir waren nie aufs Geld aus. Lieber haben wir die Eintrittspreise extrem niedrig gehalten, damit Jeder reinkonnte.
Für mich waren die Aktivitäten in der KaJuLe und insbesondere die Leutesdorfer Rock-Festival eine ganz wichtige Zeit, die meine berufliche Orientierung hin zur Freizeitpädagogik stark beeinflusst haben.“


